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Wenn du wüsstest, dass du im Sport niemals versagen würdest, wie würde das deine Wettkampfplanung beeinflussen?
Ein Artikel der Sportpsychologin Dagmar Meyer-Anuth
Zu Beginn der neuen Saison steht man in den Startlöchern. Gespannt schaut man auf die ersten Trainingswettkämpfe: nun zeigt sich, ob das Grundlagentraining im Winter erfolgreich war und an welchen Stellen man noch für den Jahreshöhepunkt an sich arbeiten muss. Hierbei gilt jedoch, dass diejenigen, die bereit sind ausgetretene Wege zu verlassen und Neues zu versuchen das größere Verbesserungspotenzial haben.
Wie wäre es also, mentales Training als neuen Baustein in die Wettkampfvorbereitung zu integrieren? Hierbei stellt der Sportler mentale Prozesse und ihren Einfluss auf die eigene Leistung in den Mittelpunkt seiner Bemühungen. Bisher gemachte Erfahrungen, innere Einstellungen, Denkstrategien und Verhaltensmuster beeinflussen Wettkampfergebnisse maßgeblich mit. Sportler, die dies berücksichtigen, sind in der Lage auch solche Faktoren zu analysieren, neu zu bewerten und zu verändern, um sich so einen Leistungsvorsprung zu sichern. Mentales Training ermöglicht also, auf den ganzen Reichtum innerer Ressourcen bewusst zurückgreifen zu können, um im Sport optimale Ergebnisse zu erreichen. Das Ziel ist dabei, sich bislang ungenutzte Leistungsreserven erschließen zu können.
Man kann sich den menschlichen Geist in verschiedene Ebenen unterteilt vorstellen. Auf der tiefsten Ebene findet man alles, was angeboren ist, was man als Wissen bereits mit auf die Welt gebracht hat: Atmung, Körperfunktionen oder die Fähigkeit zu schlucken und zu trinken. Auf der obersten Ebene befindet sich das Bewusstsein. Analysieren, planen, berechnen und schlussfolgern sind logische Fähigkeiten, die bewirken, dass man sich selbst als Ich – Person wahrnimmt. Zwischen diesen beiden Ebenen ist zum Zeitpunkt der Geburt eines Menschen sehr viel freier Speicherplatz, der erst noch gefüllt werden muss. Speicherplatz, der nach und nach mit Gelerntem gefüllt wird und so eine riesige Datenbank für Beobachtungen Wahrnehmungen und einem gigantischen System von Regeln ergibt. Dies nennt man Unbewusstsein.
Das angeborene und das unbewusste Verhalten bestimmen zusammen ca. 80 % des Handelns. Im Unbewussten des Menschen werden ab dem Zeitpunkt der Geburt alle Sinneseindrücke aufgenommen, verarbeitet und zu Regeln und Strategien, sogenannten Deutungsmustersystemen, zusammengefasst. Diese unbewussten Deutungsmustersysteme sind die Grundlage sämtlicher Handlungen und Aktionen des Menschen. Wir Menschen haben auf diese Art und Weise die kompliziertesten Muster und Fähigkeiten erlernt: Laufen, die Muttersprache, Fahrradfahren oder ein Auto steuern können. Wer an seine erste Fahrstunde zurück denkt, wird sich daran erinnern, wie kompliziert der Vorgang von Gang schalten, kuppeln und Gas geben am Anfang war. Nach einiger Zeit läuft dieser Teil des Autofahrens als unbewusstes System von alleine ab, während man sich zum Beispiel unterhält oder Radio hört. Schwierig war diese Tätigkeit nur dann, als sie noch das Bewusstsein beschäftigt hat. Wenn es ein unbewusstes Programm geworden ist, ist es kinderleicht.
Dieses faszinierende unbewusste System enthält unser gesamtes Wissen, unser Weltbild und unserer Sicht von uns selbst. Es ist ein schnelles und effektives System, weil wir über diese 80 % nicht mehr bewusst nachdenken müssen. Das menschliche Gehirn prüft in neuen Situationen rasch und effektiv, ob für die Bewältigung dieser Situation bereits ein unbewusstes Deutungsmuster vorhanden ist. Wenn es vorhanden ist, wird nicht mehr lange nachgedacht, sondern das Programm wird aktiviert und abgespult. Man reagiert automatisch. Das Ganze ist ziemlich praktisch, denn das Unbewusste kann um ein Vielfaches schneller reagieren als das Bewusste nachdenken und entscheiden kann.
Der Nachteil dieses perfekten Systems zeigt sich jedoch, wenn man ein ungünstiges unbewusstes Deutungsmuster entwickelt hat. Auch wenn man sich anders verhalten möchte, gelingt einem dies oft nicht, weil das Unbewusste lieber Bekanntes als Unbekanntes anwendet. Das ungünstige Deutungsmuster wird immer wieder ausgelöst und verfestigt sich durch die dauernden Wiederholungen auch noch. Es fällt den meisten Menschen deutlich leichter, etwas völlig Neues zu lernen als sich etwas Ungünstiges abzugewöhnen. Viel Zeit und Arbeit an sich selbst ist nötig, ungünstige Deutungsmuster aufzuspüren und diese zu verändern.
Genau hier setzt Mentaltraining an: Der Sportler lernt, sich selbst in einen erhöhten suggestiblen Zustand zu versetzen, so dass die Grenze zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein durchlässiger wird. Informationen von außen können dann leichter und ungehinderter in das Unbewusste gelangen und sich dort zu neuen Regeln und Deutungsmuster formen. Ungünstige Deutungsmuster für sportliche Handlungen werden so nach und nach ausgetauscht gegen Deutungsmuster, die Leistungsreserven mobilisieren helfen. Unbewusste Programme werden durch Mentaltraining unter Anleitung gezielt gestaltet und positiv gewandelt. Richtig angewandt können Sportler so relativ schnell lernen, in sportlichen Herausforderungen Gelegenheiten zu ergreifen, die sie zuvor unbewusst sabotiert oder ausgelassen hätten.
Zu Beginn eines jeden Mentaltrainings steht ein Check mentaler Fertigkeiten, vergleichbar mit einer Leistungsdiagnostik. Mit dem Ergebnis kann man anschließend in das Mentaltraining einsteigen und sich einen individuellen Plan zusammenstellen lassen.