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Interviewserie mit dem Mentaltrainer Wolfgang Seidl
MANA4YOU: Wir hoffen du hast die Corona Krise gut überstanden. Wie hast du diese Zeit trainingstechnisch gestaltet? Eher lockeres Training oder gezielt auf den (hoffentlich) baldigen Wettkampf?
Olivia Bolzer-Stanko: Wir sind mit einem der letzten Flüge wie geplant aus einem sehr soliden Trainingslager aus Lanzarote in eine völlig veränderte Welt zurückgekehrt. Zunächst hatte ich ein ziemliches Tief als immer mehr Bereiche zum Erliegen kamen und mir bewusst wurde welche Konsequenzen diese Krise haben wird. Aus sportlicher Sicht fehlten mir meine Trainingsgruppen und das Schwimmen wahnsinnig und natürlich die Wettkampf-Perspektive. Aber ich habe rasch den Entschluss gefasst den Schwung aus dem Trainingslager mitzunehmen und das Eisen weiter zu schmieden so lange es heiß ist. Im Keller unseres Hauses ist Krafttraining möglich, das Radtraining fand ebenfalls wieder im Keller statt um das Risiko eines behandlungsbedürftigen Unfalls auszuschließen und laufen war ja erlaubt. So habe ich in dieser entschleunigten Zeit die Chance gesehen in aller Ruhe weiter aufzubauen um nun früher als gedacht hoffentlich stärker als zuvor aus dem Keller wieder heraus zu kommen. Die Formkurve zeigt jedenfalls am Rad und beim Laufen nach oben, schwimmen wird bestimmt nachziehen.
MANA4YOU: Du bist eine erfolgreiche Agegroup Athletin und auf der Kurz- und Mitteldistanz unterwegs. Auf welche Rennen bist du persönlich ganz besonders stolz und welche Rolle hat da deine mentale Stärke gespielt?
Olivia Bolzer-Stanko: Sehr stolz bin ich auf die Challange Almere-Amsterdam 2018 (Mitteldistanz). Durch mehrere Umstände stand ich völlig übermüdet am Start, stieg nach einer mehr als schwachen Schwimmleistung enttäuscht aufs Rad und war überrascht von den Tücken der Radstrecke, die ich mir davor nicht angeschaut hatte (zunächst ganz normale Radwege die fürs Hollandrad, aber nicht unbedingt für über 30km/h ausgelegt sind). Schließlich habe ich den Ärger über diese Widrigkeiten in Energie und Vortrieb umgewandelt und das Rennen, das ich schon abgehakt hatte, unter tosendem Jubel in meiner angestrebten Zeit beendet.
Außerdem die AG-EM 2018 in Tartu / Estland und die AG-WM 2019 in Lausanne / Schweiz (beide Kurzdistanz): fünf Wochen vor der EM habe ich eine Lungenentzündung ausgebrütet und zwei Wochen vor der WM konnte ich den linken Fuß plötzlich nicht mehr belasten. Der Start war in beiden Fällen fraglich. Die ungebrochene und feste Überzeugung doch noch gesund genug werden zu können, die schon fast meditative Visualisierung wie die – laienhaft ausgedrückt – Flecken im Röntgen bzw. MRT verschwinden, die Visualisierung des Rennens, wenn auch in der Gewissheit dass ich wahrscheinlich Abstriche machen muss und meine Erwartungen an die Situation anpassen, ließen mich nach ärztlichem OK beide Rennen gesund und zufrieden ins Ziel bringen – die EM sogar als nahezu perfektes Rennen mit einer PB, die WM im Bereich der Möglichkeiten, aber mit einer starken Radleistung wie ich sie bis dahin auf so einer Strecke nicht gebracht hätte.
MANA4YOU: Wie hast du dir deine mentale Stärke angeeignet?
Olivia Bolzer-Stanko: Zunächst ein Coaching bei Mentalcoach Wolfgang Seidl um das Handwerkszeug mit auf den Weg zu bekommen und zu lernen damit zu arbeiten. Es ist aber wie das physische Training selbst ein laufender, ständiger Prozess bei dem es immer etwas zu tun gibt.
MANA4YOU: Was war ausschlaggebend für dich, bei Mentalcoach Wolfgang Seidl, in Mentaltraining zu investieren?
Olivia Bolzer-Stanko: Ausschlaggebend war eine zunehmende Unsicherheit, fast schon Angst, am Rad, die sich durch diverse Ereignisse im Laufe der Zeit aufgebaut hatte und schon hämmend war. Als ich dann noch bei der AG-EM 2017 in Kitzbühel die schwer verunfallte Athletin auf der Radstrecke sah, kam das Fass zum Überlaufen (Anm.: als ich an ihr vorbeifuhr, war sie bereits versorgt und der Rettungshubschrauber unterwegs). Weiters war ich leicht ablenkbar, mit der Aufmerksamkeit eher bei meiner Umgebung als bei mir.
MANA4YOU: In welchen Bereichen hast du von den mentalen Techniken am meisten profitiert? Hast du für die Leser ein paar kurze Beispiele?
Olivia Bolzer-Stanko: Am meisten profitiere ich eigentlich im Vorfeld. Wenn, wie vorhin beschrieben, die Vorbereitung durch eine Erkrankung oder Verletzung nicht wie geplant läuft, ergänzend zu entsprechender medizinischer Versorgung versteht sich. Aber vor allem bei der geistigen Vorbereitung auf ein Rennen, etwa wenn ich die Streckenführung und Streckenprofile schon lange vor dem Rennen immer wieder visualisiere und mir z.B. Anstiege und Abfahrten einpräge um zu wissen wie ich mir meine Körner einteilen muss. Idealerweise habe ich mir die Strecken davor im Training sogar angeschaut. Bis hin zur Wettervorhersage in den Tagen davor – nicht, dass ich Einfluss darauf hätte, aber einfach um auf Hitze, Kälte, Wind oder Regen eingestellt zu sein. Natürlich zählt dazu auch die praktische Vorbereitung, sodass am Wettkampfmorgen alles was ich brauche griffbereit ist und ich entspannt mit dieser Gewissheit schlafen gehen kann und mir keine Gedanken mehr machen muss was ich noch brauche und bloß nicht vergessen darf. Wenn ich im Kopf so gut und genau wie möglich vorbereitet bin, dann ist im Grunde genommen am Tag X alles angerichtet und die Party kann steigen. Sollte es dann doch nicht nach Plan gelaufen sein, ist die Enttäuschung nur von kurzer Dauer und ich stecke den Kopf nicht mehr in den Sand, sondern analysiere viel mehr woran es gelegen hat und woraus ich lernen kann. Eine Fähigkeit, die mir übrigens nun auch sportlich und persönlich gut durch die Corona-Krise geholfen hat – aus etwas Negativem etwas vielleicht sogar nachhaltig Positives herausholen.
MANA4YOU: Warum würdest du auch Agegroup AthletInnen mentales Training empfehlen?
Olivia Bolzer-Stanko: Mentales Training ist auf jeden Fall wertvoll, da die daraus gewonnene Stärke ja nicht nur zwangsläufig eine Investition in den Sport ist, sondern in allen möglichen Lebensbereichen hilfreich sein kann. Man ist geneigt – da nehme ich mich selbst keineswegs aus – sich resignierend in eine Opferrolle zurückzuziehen wenn es unangenehm wird. Doch es beginnt immer bei sich selbst. Diese Erkenntnis ist sicher der schwierigere Weg und manchmal bitter, eröffnet aber Möglichkeiten.
MANA4YOU: Warum glaubst du, trainieren bis dato so wenig Agegroup AthletInnen gezielt ihre mentalen Fertigkeiten?
Olivia Bolzer-Stanko: Einerseits denke ich, dass viele Agegroup AthletInnen Mentaltrainig für Profis wichtig finden, die an der Weltspitze mitmischen um das letzte Quäntchen aus sich heraus zu holen, aber schlichtweg nicht so relevant im Amateurbereich. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass alles was irgendwie mit Psychologie zu tun hat und nicht unmittelbar messbar, sichtbar oder greifbar ist, immer noch zu unrecht stigmatisiert wird. Dazu möchte ich den zweifachen IM-Weltmeister Patrick Lange zitieren, der mit seinem neuen Trainer auch stark auf Mentaltraining setzt: “Manchmal traut man sich gar nicht darüber zu reden, weil viele gleich denken, man hat eine Schraube locker, wenn man im Bereich des Mentaltrainings Hilfe sucht” (aus Triathlon, Ausgabe März 2020)
MANA4YOU: Was sind deine nächsten Ziele für heuer und für 2021?
Olivia Bolzer-Stanko: Jetzt freue ich mich auf den Saisonstart im Juli und den IM70.3 Rapperswil-Jona im September, zu dem ich unverhofft kam als der IM70.3 Graz für heuer abgesagt wurde. 2021 dann die ebenfalls verschobene IM70.3-WM in Taupo / Neuseeland und die vertagte Premiere des IM70.3 Graz. Aufgeschoben ist schließlich nicht aufgehoben!