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Drafting tötet unseren Sport – doch was kann man tun?
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Die Diskussion um Athleten, die es mit der Fairness nicht ganz so ernst nehmen, gibt es schon so lange wie den Triathlon selbst. „Lutscher“ werden sie genannt, und das ist noch der nobelste Ausdruck für Athleten, die auf der Radstrecke den Mindestabstand zum Vordermann nicht einhalten. Bis zu 20 Prozent Kraftersparnis bringt das Fahren im Windschatten, deshalb ist die Verlockung seit jeher groß, die bei Non-Drafting-Rennen gültigen Abstandsregel von meist 10 Metern nicht allzu genau zu nehmen.
Wenn die Diskussion nun schon so alt ist, warum schreiben wir ausgerechnet jetzt darüber? Weil das erträgliche Maß längst überschritten ist und unser Sport samt seiner kommerziell erfolgreichen Ausrichtung schon langsam auf eine gefährliche Abwärtsspirale zudriftet. Wer sich in diesem Jahr Bilder von den Rennen in Klagenfurt, Mallorca, Barcelona oder auch anderen kleineren Rennen angesehen hat, der sollte, sofern ihm dieser Sport am Herzen liegt, laut die Alarmglocken schrillen hören. Bilder, die an eine Radtouristikfahrt erinnern, Gruppen mit bis zu 200 Athleten, die im Abstand von Zentimetern fahren. Agegroup-Athleten mit Radzeiten, die selbst Profis alt aussehen lassen und Profi-Rennen, die vor allem bei den Damen durch Agegroup-Teilnehmer entscheidend beeinflusst werden.
Was wir mit diesem Artikel bezwecken? Vorweg einmal, was wir nicht wollen: jemandem den alleinigen schwarzen Peter zuschieben. Niemand trägt alleine die Schuld an der Situation, weder Veranstalter, noch Kampfrichter, noch Athleten. Wir wollen einfach einen Beitrag dazu leisten, über Ideen, Einwände und Möglichkeiten nachzudenken, es in Zukunft besser zu machen und betrachten Probleme und Lösungsvorschläge von beiden Seiten.
Problem 1: Die Starterfelder
Triathlon boomt, speziell der „Big Player“ IRONMAN freut sich über in Rekordzeit ausgebuchte Rennen. Der Expansionskurs wird vor allem in Europa im Wahnsinnstempo vorangetrieben und das in einer Zeit, die nicht gerade als jene eines Wirtschaftswunders in die Geschichte eingehen wird. Angebot und Nachfrage bestimmt den Preis und letztlich auch die Leistung. Dass IRONMAN speziell in Europa hervorragende Rennen organisiert, steht für uns außer Frage. Nicht zuletzt deshalb bringt man Jahr für Jahr an die 3.000 Athleten an den Wörthersee, den Langener Waldsee oder an die Bucht von Alcudia. Gefüllte Wechselzonen bedeuten aber auch gut gefüllte Radstrecken und die Einhaltung einer 10-Meter-Regel stößt bei der mittlerweile vorherrschenden Leistungsdichte schon an seine physikalische Grenze. 3.000 Starter á 10 Meter Abstand benötigen 30 Kilometer Platz. Deshalb wird immer öfter die Forderung laut, die Teilnehmerzahl zu Gunsten eines fairen Wettkampfes zu reduzieren, am besten um mindestens die Hälfte. Klingt gut? In der Theorie ja, doch in der Praxis unmöglich. Kein Unternehmer der Welt würde freiwillig auf 50 Prozent seines Umsatzes verzichten, das wäre schlicht kaufmännischer Selbstmord. Wer sich vor Augen hält, welch hohe Kosten Veranstaltern etwa für eine komplett gesperrte Radstrecke entstehen, wird diese Forderung nicht rational argumentieren können.
Doch was muss geschehen, um den Athleten die Möglichkeit eines fairen Rennens trotz hoher Starterzahlen zu bieten? Mit dem klassischen Massenstart, wie es immer noch bei den meisten IRONMAN-Bewerben üblich ist, wird das nicht mehr funktionieren. So schön auch die Helikopterbilder von der sich im Wasser fortbewegenden Masse auch sein mögen, sie sind das erste Glied in einer Kette von sich fortsetzenden Problemen. Die sportliche Dichte beim Schwimmen ist mittlerweile auch im Amateurbereich sehr hoch, sodass bereits zu Beginn der Radstrecke große Gruppen mit Athleten ähnlicher Stärke entstehen. Doch was ist die Alternative – sind Wellenstarts die beste Lösung? Wir sagen ganz klar: Ja, ABER…
Wellenstarts müssen durchdacht sein, denn im Grunde gibt es bereits jetzt in den meisten Rennen verschiedene Startwellen. Die Profis voraus, die Agegrouper in einer gesamten, zweigeteilten und manchmal auch in Altersklassen aufgeteilten Wellen hinterher. Wellenstarts haben durchaus ihre Tücken, denn vor allem bei den Profi-Damen kam es in letzter Zeit immer wieder zu Situationen, die Rennen durch die Gruppenbildung mit Agegroup-Athleten entscheidend beeinflusst haben. Da es bei den Profis auch um Preisgeld geht, ist ein fairer Wettkampf nicht nur aus sportlicher, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht von großer Wichtigkeit.
Das Ziel muss es sein, ein System zu finden, das die Gruppenbildung vermeidet. Wie könnte ein solches System aussehen? Eine Möglichkeit wäre, die Top-Agegrouper gemeinsam mit den Profi-Herren starten zu lassen, 15 Minuten später die Profi-Damen und mit weiteren mindestens 15 Minuten Abstand die Agegrouper in mehreren Wellen starten zu lassen. Hier müssten die Mathematiker und Statistiker ihre Köpfe glühen lassen, um eine Aufteilung der Gruppen zu finden, die für maximale Fairness sorgt. Ein in Teilen ähnliches System wird bereits seit Jahren bei der Challenge Roth angewendet und sorgt dort trotz einer enormen Starterzahl von rund 4.000 Athleten für ein verhältnismäßig faires Rennen.
Problem 2: Die Athleten:
Wir verzichten hier, wie immer, bewusst auf das „Binnen-I“, doch ihr könnt euch sicher sein, wir meinem damit beide Geschlechter. Im ersten Punkt haben wir die mitunter schwierigen Rahmenbedingungen für einen fairen Wettkampf ausgiebig analysiert und auch einige Ideen ausgearbeitet. Letztlich ist es aber nicht der Veranstalter, der draftet, es ist auch nicht der böse Kampfrichter, es ist der Sportler, der dafür verantwortlich ist, sich an die Regeln zu halten. Dass es aufgrund der oben beschriebenen Umstände nicht immer einfach ist, ständig 10 Meter Abstand zu halten, versteht jeder, der schon einmal in einer solchen Situation war. Doch eines sei gesagt – es gibt keinen, ABSOLUT KEINEN GRUND, im Abstand von wenigen Zentimetern in Zweier- und Dreierreihen nebeneinander zu fahren. Hier ist neben dem rigorosen Einschreiten von Kampfrichtern vor allem der Sportsgeist und das Hirnschmalz der einzelnen Athleten gefragt. Selbst im Abstand von 10 Metern kann man noch leicht von seinem Vordermann profitieren und sich zumindest an ihm orientieren. Überholvorgänge müssen begonnen und ordnungsgemäß abgeschlossen werden. Leider kommt es oft zu Situationen, in denen der Athlet die Gruppe überholt, versucht, 10 Meter Abstand zu halten und dadurch sofort wieder seinen Hinterleuten überholt wird. Der Autor dieser Zeilen wurde unlängst selbst mitleidig befragt, warum er denn „ein Loch“ lassen würde. Liebe Athleten, dass ist nicht unsere Definition von fairem Sport und auch wenn die Veranstalter und Kampfrichter ihren Teil zu dieser Situation beitragen, es sind immer noch wir Athleten, die es in der Hand haben, uns das Rennen so fair wie möglich zu machen.
Problem 3: Die Kampfrichter:
Kampfrichter zu sein ist ein undankbarer Job – gleich wie der Schiedsrichter im Fußball ist er immer der Dumme. Es gab in der Geschichte des Triathlonsports offenbar noch keine Kampfrichterentscheidung, die korrekt war und es gab defintiv noch niemals einen Penalty, der zu Recht ausgeteilt wurde. Der meist ehrenamtlich oder für ein besseres Taschengeld arbeitende Wettkampfrichter hat die harte Aufgabe, Law and Order auszuüben und bekommt es dabei mit einer großen Ansammlung von adrenalingefüllten, schmerzgeplagten, euphorischen, enttäuschten, mehr und weniger kultivierten Menschen zu tun. Oft ist der Kampfrichter selbst Athlet, die sich in die Situation der Sportler hinein fühlen kann, der weiß, wie hart jeder dieser Teilnehmer für den „Tag X“ trainiert. Vielleicht hat er eine Woche zuvor sogar gemeinsam mit einigen von ihnen ein Rennen bestritten, wer weiß? Und jetzt soll der Kampfrichter der Böse sein und seinem Sportskollegen das Rennen mit einer Zeitstrafe versauen? Ja, das sollte er, denn das ist seine Aufgabe an diesem Tag! Leider kommt es vor allem in letzter Zeit allzu oft vor, dass Kampfrichter kilometerlang neben der Gruppe herfahren und keine einzige Strafe austeilen. Man stelle sich vor, kein einziger Radarkasten dieses Landes würde mehr blitzen. Der Polizeiwagen, der auf der Autobahn in der 100km/h Beschränkung tatenlos hinter dir herfährt, wenn du mit 200 Sachen über die Autobahn bretterst? Würdest du langsamer werden, wenn du weißt, dass dir nichts passiert?
Triathlon ist das Erleben und der Austausch von Emotion, Kampfrichter dagegen sollten den fairen, emotionslosen und rationalen Gegenpol dazu bieten. Dass dies aufgrund der immer noch überschaubaren Triathlon-Community nicht immer einfach ist, leuchtet ein. Wie könnte hier eine Lösung aussehen? Denkbar wäre es zum Beispiel, bei Teilnehmern mit einem bestimmten Starterfeld Kampfrichter aus dem benachbarten Ausland zu engagieren. Deutsche Kamfprichter würden zum Beispiel beim IRONMAN Austria das Renngeschehen überwachen, während zum Beispiel die Österreicher in Frankfurt für Recht und Ordnung sorgen würden. Eine Busreise mit Hotelaufenthalt kostet den Veranstaltern in der Relation keine Unsummen, könnte aber für das nötige Quäntchen an Objektivität sorgen.
Ihr seht also, es gäbe viele Ideen, unseren Sport noch besser zu machen, als er ohnehin schon ist. Wir sehen unsere Vorschläge auch nicht als Patentlösung, sie sollten der Ideenfindung dienen und eine Grundlage für eine offene, kultivierte und zielgerichtete Diskussion darstellen! Für andere konstruktive Vorschläge sind wir gerne offen!