Kommentar von triaguide-Herausgeber Andreas Wünscher
Faris Al-Sultan war einer der ersten Triathleten, die ich wirklich aktiv mitbekommen habe. Gut, mir sagten natürlich die Namen Hellriegel, Zäck und Leder auch schon längere Zeit etwas, aber so richtig aktiv beschäftigt habe ich mich mit der Sportart Triathlon erst, als Faris Al-Sultan Hawaii gewonnen hat. In der Badehose, just zu einem Zeitpunkt, wo dieses Kleidungsstück in der einst von mir nicht ganz ernst genommenen Sportart zu verschwinden begann.
Faris Al-Sultan ist ein Typ, das war er immer schon. Einer, der so ganz und gar nicht ins Bild des modernen Triathlons passt und auch nicht so wirklich in das der früheren Jahre. Ich kann nicht behaupten, auch vor meiner Journalisten-Zeit, dass ich ein großer Fan von Faris Al-Sultan war. Jedoch hatte ich stets großen Respekt vor ihm als Sportler als auch als Sprachrohr.
Seine unkonventionelle Art, diesen Sport zu sehen, zeigte er im zuvor bereits erwähnten Outfit, das so gar nicht mehr in die Zeit des modernen Triathlons passte. Fast konnte man den Eindruck haben, dass der Bayer mit irakischen Wurzeln nur deshalb seine Karriere ach so früh beendet hatte, weil er die Windkanalwerte seiner Badehose gesehen und für sich keine sportliche Perspektive mehr gesehen hat.
Nun aber Spaß beiseite. Faris Al-Sultan ist ein Typ. Ich weiß, ich habe diesen Satz im vorletzten Absatz schon einmal geschrieben. Doch Faris Al-Sultan ist ein Typ. Punkt. Einer, der seine Meinung noch nie im stillen Kämmerchen gelassen hat oder sie feige und anonym in irgendwelche Kommentarfelder von Online-Foren gepostet hat. Er stand immer zu seiner Meinung und konnte auch mit dem Gegenwind leben.
Beispiele gibt es davon zur Genüge. An eine Sache kann ich mich aber noch eindrücklich erinnern. Nach seinem damaligen Sieg beim IRONMAN Austria wurde er auf der Pressekonferenz am Tag danach von einem Journalisten-Kollegen gefragt, warum er nicht beim Zieleinlauf des letzten Athleten dabei war. Es gilt im Triathlon fast als ungeschriebenes Gesetz, dass sich die Siegerin und der Sieger zur Finishlineparty um Mitternacht an der Ziellinie einfinden, um die letzten Athleten zu empfangen. Al-Sultans Antwort darauf war eindrücklich. Auch wenn ich die exakte Wortwahl nicht mehr wieder geben kann, im Kern kann man sie in diesem Satz zusammen fassen: ‚Ich war in meinem ganzen Leben noch nie auf einer Finishlineparty und ich finde, nach 8 Stunden Rennen ist es dann auch mal genug für einen Arbeitstag‘.
Bei jedem anderen Athleten hätte man sich die Hände vor dem Kopf zusammen geschlagen und darüber sinniert, wie unsportlich und arrogant denn dieses Verhalten wäre, doch Faris Al-Sultan hatte die Fähigkeit, dies so rüber zu bringen, dass man ihm dafür gar nicht böse sein konnte. Zumindest, wenn man ein bisschen weiß, wie er tickt.
Nach dem Rücktritt machte sich Faris als Trainer einen Namen, führte unter anderem Patrick Lange zu zwei Hawaii-Siegen. Auch hier hat sich die Person Faris Al-Sultan in seinen Aussagen und seinem Tun nicht verändert.
Als Faris vor zwei Jahren zum DTU-Bundestrainer ernannt wurde, kam selbst mir als Jounalist das Staunen. Ein Faris Al-Sultan – der Self-Made-Athlet in Person und die durchstrukturierte Deutsche Triathlon Union – kann diese Kombination gut gehen?
Aus sportlicher Sicht ist die Antwort noch nicht zu bewerten, denn die Olympischen Spiele werden ja bekanntlich ein Jahr verspätet stattfinden. Eine Tendenz kann man allerdings erkennen – sie zeigt, dass der ehemalige Hawaii-Champion eine durchaus positive sportliche Entwicklung in Richtung Olympia eingeleitet hat, eine Entwicklung, die sportlich sicher noch nicht zu Ende ist.
Doch im Moment spricht die Triathlonwelt vor allem über eines – den verbalen „Amoklauf“ von Faris Al-Sultan auf Twitter in den letzten Wochen. Al-Sultan und die sozialen Medien sind ohnehin ein ganz eigenes Kapitel. Der Bayer machte sich nie etwas aus Facebook, Instagram & Co. Er hatte auch das Glück, gerade in einer Zeit seinen größten Erfolg zu haben, wo das auch noch nicht nötig war. Deshalb verwundert es jetzt umso mehr, dass sich der DTU-Bundestrainer nun als Privatperson (wie er selbst sagt) so vehement auf Twitter bewegt und dort seine Meinung ungefragt kundtut.
In einem Leserbrief an das deutsche Magazin der Spiegel kritisierte er das Medium und die unreflektierten Gehorsamkeit gegenüber der deutschen Regierung in gewohnt scharfem Ton. Auch Vergleiche mit der einstigen Situation im Dritten Reich wurden nicht gescheut. Für viele waren diese Aussagen ein Tabubruch, die weit über das Ziel hinaus schossen.
Auch die DTU distanzierte sich umgehend von den Aussagen Al-Sultans. Eine Diskussion entbrannte, ob ein Bundestrainer einer Sportart das Recht habe, seine Privatmeinung kund zu tun, ohne dass dies auf den Verband zurück fallen könnte. Ein kniffliges Thema.
Von vielen Seiten musste sich Al-Sultan in den Tagen darauf an Kritik anhören lassen und es ist auch nicht auszuschließen, dass diese Aussagen Konsequenzen für seinen Job als Bundestrainer haben könnten.
Ich persönlich finde die allgemeine Bewertung seiner Aussagen, auch von einigen Journalisten-Kollegen, nicht ganz fair bzw. zumindest einseitig. In seinen Aussagen hat Al-Sultan stets betont, dass der Shut-Down aufgrund der Corona-Krise zu Beginn notwendig und seiner Meinung nach auch richtig war. Was er kritisiert, ist der weitere Umgang damit und wie man zwischen den Zeilen heraus lesen kann auch den fehlenden Diskurs über die nähere Zukunft.
Es gehe ihm um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und da kann ich seinen Aussagen zumindest in einem oder anderen Punkt etwas abgewinnen. Ich gehöre nicht zur Kategorie der Verschwörungstheoretiker, der Dinge unreflektiert teilt, weil sie gerade in meine Gedankenblase passen. Al-Sultan hat auf Twitter allerdings einige zumindest zweifelhafte Artikel geteilt, was ihn in seiner Glaubwürdigkeit nicht unbedingt zum Experten in Sachen Covid-19 macht.
Doch was sind Experten – sind es jene Experten und Virologen, die uns Anfang Februar noch weis machen wollten, dass das Coronavirus mit einer normalen Grippe zu vergleichen wäre? Selbst Experten, die sich Tag für Tag mit diesen Themen beschäftigen, lagen mehr als einmal falsch, und das tun sie heute noch.
Was Faris Al-Sultan kritisiert hat, ist im Grunde genommen die voreilige und diskussionslose Absegnung von Maßnahmen über die nächsten Monate, die noch nicht einmal im Detail bekannt sind. Die Stimme des Sports erhebt sich in den Tagen der Krise ohnehin zu leise. Dass Sport ein erheblicher Wirtschaftsmotor ist, wird dabei oft vergessen.
Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass Sport inmitten dieser Gesundheitskrise nur ein kleines Puzzlestück ist in einer nationalen, in einer globalen Herausforderung. Doch wir als Sport haben auch eine Stimme, die wir nicht verstummen lassen sollten. Das ist weder ein Aufruf zum Protest oder gar zur Revolution, es ist ein Aufruf zum Nachdenken, zum Reflektieren, zum Sammeln von Ideen, zum Ausloten von Möglichkeiten. Die Vogel-Strauß-Politik wird weder den Sport noch die Gesellschaft weiter bringen.
Das bedingungslose und unhinterfragte Abwinken von Regierungsentscheidungen sollten sich auch die Fachverbände nicht gefallen lassen. Verstummt man, weil man von öffentlichen Geldern abhängig ist? Nickt man alles ab, auch wenn es zum Nachteil vom Sport ist? Eine Antwort darauf habe ich auch nicht. Ich bin überzeugt, dass an der Spitze der Fachverbände intelligente Menschen sitzen, die mit Weitblick agieren – zumindest hoffe ich das.
Meine zweite Hoffnung ist, dass das Gut der Meinungsfreiheit für jeden Menschen Bestand hat, selbst für einen DTU-Bundestrainer.