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Laura Philipp – die würdige Siegerin einer (nicht) würdigen WM

Veröffentlicht

am

Bartlomiej Zborowski for IRONMAN

Ein Kommentar von Herausgeber Andreas Wünscher

Im Wissen, mich mit diesem Kommentar zumindest bei 1.100 Frauen nicht unbedingt beliebt zu machen, starte ich diesen, vorweggenommen, subjektiven Kommentar zu den IRONMAN World Championship der Frauen in Nizza. Wer meine vergangenen Kommentare auf diversen Plattformen und auch hier in der Vergangenheit gelesen hat, weiß, dass ich es für einen fatalen Fehler gehalten habe, die IRONMAN World Championship zu teilen und sie halb aus Kona, dem Mekka des für mich großartigsten Sports der Welt, herauszureißen. Dies hat sich für mich spätestens mit dem gestrigen Tag bewahrheitet. Ich hätte mir gewünscht, Unrecht gehabt zu haben.

Vorweg ist es mir eines wichtig zu sagen. Ich vergönne Laura Philipp diesen Sieg von ganzem Herzen, sie ist für mich eine wahre Weltmeisterin. Ihre Leistung am gestrigen Tag, ihr Werdegang, ihr Umgang mit Rückschlägen, Ihre Hingabe zum Sport, all das resultierte am gestrigen Tage in Nizza in einer Leistung, die einer Weltmeisterin mehr als würdig ist. Ich wage zu behaupten, dass sie am gestrigen Tag auch in Kona schwer zu schlagen gewesen wäre.

Ich war mit diesem Medium 15 Jahre Lang Teil des großartigen Triathlon- und IRONMAN-Zirkus und habe sowohl den Aufstieg als auch die schwierigen Zeiten miterlebt. Als vielfacher IRONMAN-Finisher habe ich auch nach Ende meiner aktiven Triathlon- und Journalistenlaufbahn immer noch großes Interesse an diesem Sport. Das ist auch der Grund, warum ich diese Zeilen schreibe, oder warum ich mich besser gesagt traue, das zu tun.

Wenn man selbst Teil dieser Blase ist, fällt es einem oft schwer, ein kritisches Auge auf Fehlentwicklungen zu werfen. Zu groß ist die faktische oder zumindest subtile Abhängigkeit von den großen Playern in der Branche. Ich sage es ganz unverblümt – als ich mit diesem Medium noch hauptberuflich unterwegs war, hätte ich wohl nicht den Mut gehabt, meinen Finger so tief in die Wunde zu legen wie jetzt.

Und die Wunde, in diesem Fall die gestern über die Bühne gegangenen IRONMAN World Championship in Nizza, blutet stark. Das hat man am gestrigen Tag leider gesehen. Als IRONMAN, damals noch unter der Führung des einst glänzenden, gegen Ende hin zunehmend ratlosen CEO Andrew Messick, Ende 2022 bekannt gab, dass man die Weltmeisterschaften für Männer und Frauen splitten würde, und jeweils ein Geschlecht ihre World Championship in Nizza austragen würde, wurde von Beginn an heftig kritisiert. Meinen Artikel zu diesem Thema vor knapp 2 Jahren könnt ihr hier nachlesen.

Ich habe damals mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten und werde es genauso wenig jetzt tun. Ich hielt die Entscheidung für grundfalsch und zwar nicht nur aus emotionalen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Zwei Jahre später sollte sich dies endgültig bewahrheiten.

Bereits im letzten Jahr schien das Konzept schon ins Stocken geraten. Der vorgegebene Grund, Frauen eine bessere Bühne und ein eigenes Rennen zu geben, ist grundsätzlich löblich und zu begrüßen. Trotzdem sollte man bei einem internationalen Konzern, zu dem IRONMAN in den letzten 40 Jahren gewachsen ist, auch eine gewisse Marktanalyse machen. Gesundes Wachstum ist langfristiges Wachstum, zu schnelle Expansion drückt die Qualität und verhindert nachhaltigen Erfolg. Im IRONMAN-Machtzentrum in Florida hätte sich nur die prozentuelle Anzahl an weiblichen Teilnehmern in IRONMAN-Beweben weltweit herausrechnen müssen, um zum Schluss zu kommen, dass sich das, was man hier vorhatte, schlichtweg nicht ausgehen kann – nicht einmal mittelfristig.

Taktisch hatte man es prinzipiell ja richtig angelegt, mit den Männern 2023 in Nizza zu beginnen und die Kona-Bühne den Frauen zu überlassen. Das Männerrennen in Nizza im letzten Jahr war sportlich ansehnlich, das Starterfeld zumindest im Profibereich einer Weltmeisterschaft würdig. Auch das Event an sich war von außen betrachtet perfekt organisiert und durch die Abschiedsvorstellung des GOAT Jan Frodeno waren auch emotionale Höhepunkte garantiert. Auch quantitativ war das Rennen mit 2.269 Startern zumindest groß genug. Dass die Slots im Agegroup-Bereich trotz der besseren Erreichbarkeit vor allem in Europa meilenweit durchgereicht wurden und somit die sportliche Dichte im Amateurbereich nicht mehr vergleichbar war mit den früheren Jahren, steht auf einem anderen Blatt und das möchte ich an diesem Punkt nicht zu noch hängen, denn das würde den Rahmen des Artikels sprengen.

Beim Damenrennen in Kona war es die selbe Situation, nur dass man aus einem Pool von deutlich weniger Athletinnen schöpfen konnte. Mit großer Mühe gelang es jedoch, das Starterinnnefeld in Kona 2023 zumindest quantitativ zu füllen. 2.174 Frauen konnten sich 2023 ihren Traum einer Teilnahme an den IRONMAN World Championship in Kona erfüllen. Lucy Charles Barclay konnte sich ihren lange verdienten Kona-Sieg abholen und die Triathlonwelt freute sich. Zumindest nach außen hin. Denn der Plan, den Frauen mit ihrem eigenen Rennen eine bessere Bühne zu bieten ging auch da nicht auf. Als Medienmensch und ehemaliger Berater diverser Profi-Athleten weiß ich, wie wichtig Reichweite für Athleten ist. Die dramatisch niedrigere Zahl der Zuseher bei der Live-Übertragung konnte man schon beim Zusehen des Live-Streams erkennen. Zusätzlich verschärfte die Situation das deutlich geringere Zuschauer-Aufkommen vor Ort. Alles in allem war dies keine Situation, die man im Vorfeld nicht mit eingerechnet hatte.

Das war das Jahr 2023. Den wahren Kahlschlag hatte ich aber im Jahr 2024 prognostiziert und dieser trat (leider) genau so ein, wie ich es befürchtet hatte. Nachdem man sich startertechnisch im Jahr 2023 noch einigermaßen aus der Affäre ziehen konnte, sollte das wahre Drama dieser fatalen Entscheidung erst in diesem Jahr zu spüren sein. Meine Befürchtung, dass sich IRONMAN mit dem Brachialakt ihrer eigenen Entscheidung selbst kannibalisiert, traf ein. Das Frauenfeld in Nizza 2024 zu füllen, stellte sich wie erwartet als unmöglich heraus. Eine Reduzierung des Starterfeldes um knapp 50 Prozent zeigte das volle wirtschaftliche Desaster für einen Veranstalter, der zu großem Teil von diese Geldern lebt. 1.284 Athletinnen auf der Starterliste mit rund 1.100 Finishern zeigte das wahre Ausmaß der selbst gestalteten Misere. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass IRONMAN mit diesem Bewerb wirtschaftlichen Erfolg hatte. In Zukunft stellt sich zudem die Frage – wie soll das weitergehen? Wie kann ich einerseits das ehrbare Ziel verfolgen, Frauen ein eigenes Rennen zu bieten, aber meine Markenimage und meine finazielle Stabilität aufrecht erhalten?

IRONMAN hat unter dem neuen CEO bereits einige richtige Entscheidungen getroffen. Mit der IRONMAN PRO SERIES hat man den lange stiefmütterlich behandelten Profi-Bereich wieder gestärkt und attraktiviert. Gleichzeitig konnte man der ambitioniert, aber unglücklich agierenden PTO mit ihren Rennen zum Teil wieder etwas von Kuchen wegnehmen. In dieser Richtung sehe ich eine positive Entwicklung – um nicht nur Negatives darzustellen.

Trotzdem ist meine nächste Einschätzung wieder geprägt von Kritik. Wie ich anfangs geschrieben habe, halte ich Laura Philipp für eine fantastische und würdige Weltmeisterin. Sie hat in einem harten Rennen jene Gegnerinnen geschlagen, die an diesem Tag am Start waren. Mehr konnte sie nicht tun und deshalb wird sie den in der Szene wichtigsten Titel IRONMAN World Champion auch mit Würde und Recht ein ganzes Jahr ihr Eigen nennen. Dass einige große Namen in der Form ihres Lebens fehlten, dafür kann die Weltmeisterin absolut nichts.

Dennoch muss man sich die Frage stellen, welchen Stellenwert dieses Rennen in der Geschichte des Triathlonsports retrospektiv einnehmen wird. Für mich persönlich setzt sich die Bedeutung eines Rennens aus drei Faktoren zusammen – Prestige, die Dichte des Starterfeldes und die Motivation der teilnehmenden Athleten. Sind alle drei Faktoren auf höchsten Niveau, dann erleben wir in der Regel eine spannende Entscheidung, welche die Zuschauer und Medien gleichermaßen fesselt. Fehlt nur einer dieser Punkte, dann kann das schon zum Problem werden. Eindrucksvoll sieht man das bei der heuer geschaffenen T100-Serie der PTO. Was nützen die besten Verträge mit den vermeintlich 20 besten Athleten, wenn diese nicht top-motiviert und in Top-Form bei den Rennen stehen? Bei Rennen, die zudem keinen Prestige haben. Ähnlich verhielt es sich in diesem Jahr in Nizza. Ich wage zu behaupten, Lucy Charles Barclay hätte es in Kona zumindest versucht, mit einer kleinen Verletzung, die laut ihrer Aussage keine schwerwiegende sei, an den Start zu gehen. Alleine, um zu zeigen, was sie drauf hat – um Reichweite zu generieren. Ihre anfängliche Meldung im Frühjahr, auf einen Start in Nizza zu verzichten, da ihr das Rennen nicht das selbe bedeute wie Kona, hätte für jeden Verantwortlichen ein Alarmzeichen sein sollen. Dass sie sich, aus welchen Gründen auch immer, dann doch für einen vermeintlichen Start entschieden hatte, um dann einen Tag vor dem Bewerb doch einen Rückzieher zu machen, lässt mich zumindest mit einem wie man sagt leichten „Gschmäckle“ zurück.

Einer der Gründe, die Befürworter des Rennens in Nizza immer wieder anbrachten, ist jener, dass endlich einmal ein anderer Athleten-Typ Weltmeister werden kann, hat sich gestern auch nicht bewahrheitet. Ganz das Gegenteil war sogar der Fall. Laura Philipp ist auch in Kona für einen Sieg gut, davon bin ich tief überzeugt. Es wird schwerer für sie, weil sie dort mit härteren Bedingungen, einem wahrscheinlich stärkeren Starterfeld konfrontiert werden wird. Es ist und bleibt Kona – und um Kona zu gewinnen, braucht man nicht nur sportliche Klasse, man braucht das gewisse Etwas. So viele unterschiedliche Athletentypen prallen dort aufeinander, das Rennen ist enger und die Bilder eindrucksvoller. In Nizza war die Spannung schon am Rad nicht aufrecht zu erhalten, auch die gesendeten Bilder haben mich persönlich nicht beeindruckt. Herausfordernde Anstiege und rasante Abfahrten, die leider von den verzweifelten Versuchen, nur ja keine Mittellinie zu überfahren, sehr unbeholfen aussahen. Das wahre Potential und der eigentliche USP dieses Rennens konnte so auch nicht zu tragen kommen. Eine eindrucksvolle, aber wenig spannende Laufentscheidung besiegelte die Plätze deutlich früher als dies in Kona der Fall gewesen wäre. Aus all diesen Gründen sehe ich für eine Zukunft der geteilten Bewerbe bei den IRONMAN World Championship mehr als schwarz. Ich bin nach wie vor in Hoffnung, dass man sich in Florida wieder auf das besinnt, was IRONMAN für mich und viele meiner Triathlonfreunde bedeutet hat. Die geilste Triathlonmarke der Welt zu sein und das, was diesen Sport groß gemacht hat, wieder groß zu machen.

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